EVER DECENT
havarie nr.3
(failed video nr.3)
ein maler führt den letzten pinselstrich über die lippen und
legt den vollendenden glanz auf das auge und steht dann einen augenblick
verzückt vor dem werke seiner kunst. im nächsten augenblick
aber, ohne den blick vom bilde zu wenden, beginnt er zu zittern, wird
bleich und ringt nach atem. dann schreit er mit lauter stimme: "das
ist ja das leben selbst!" und er wendet sich zu seiner geliebten:
sie ist tot!
Hallo?
An einem kalten novembertag sitze ich an meinem schreibtisch. ich starre
auf ein leeres blatt papier, das in meiner schreibmaschine steckt.
nach einer weile starre ich aus dem fenster. es ist dunklel draußen,
meine vorhänge sind offen. auf der anderen seite der straße
leuchten die fenster des altersheims. es ist das altersheim der freimaurer.
die freimaurer essen zu abend. bei mir ist es erst zeit für einen
nachmittäglichen drink, aber im alter wird man gezwungen, früh
aufzustehen und früh zu bett zu gehen. man wälzt sich die
nacht hindurch in klammen laken, um endlich in den frühen morgenstunden
heimlich in den apothekenraum einzubrechen, auf der suche nach morphium.
ich nehme einen schluck gin direkt aus der flasche.
ich war mit einem kubistischen gemälde im kopf erwacht und tatsache
war, daß ich bisher nicht viel anderes getan hatte, als aus dem
fenster zu starren.
zweimal war der krankenwagen zum altersheim gekommen und nun traf eine
musikkapelle ein.
der krankenwagen blieb jedesmal nicht lange, zum glück, denn bei
seinem anblick verstärkten sich meine kopfschmerzen. die szenerie
bereitete mir übelkeit. die musikkapelle stimmt mich lediglich
melancholisch.
ich schließe die augen, sehe feine anzüge und elegante abendkleider,
die seit jahrzehnten in plastik eingeschweißt in schränken
warten, in schränken, die nach lavendel und mottenkugeln riechen.
die kleider warten stoisch, harren aus, voll hoffnung, warten, daß
sich die schranktür öffnet, man zum ball geht, auf ein rauschendes
fest, sie träumen von puder, parfum und seidenstrümpfen. doch
nur sehr selten, in der regel nie, öffnet sich die schranktür
und sie werden aus ihren plastikhüllen geholt. dann hängen
die schönen kleider lose und faltig an zu dünn gewordenen
schultern und schrumpeligen beinen herab und werden zur beerdigung der
letzten freunde getragen.
ich zwinge mich, die augen wieder zu öffnen, sehe drei harte stühle
und einen drehstuhl, einen flachen schreibtisch mit einer glasplatte,
fünf grüne aktenordner, drei davon völlig leer, einen
kalender und eine gerahmte urkunde an der wand, ein telefon, ein waschbecken
mit einem blinden spiegel darüber, einen fleckigen teppich, der
schlecht und recht den fußboden verdeckt und zwei offene fenster,
die wie die lippen eines der zahnlosen, schlafenden greise hin und hergeweht
werden.
ich sehe einen kontrabassisten, eine akkordeonspielerin, zwei trompeter
und einen herrn in einem anzug das gebäude gegenüber verlassen.
ich nehme einen schluck gin direkt aus der flasche.
dann haue ich meine faust auf den tisch. plötzlich bin ich nicht
mehr melancholisch, sondern gereizt und agressiv gestimmt. die verdammte
vorweihnachtszeit legt jedesmal meine nerven blank.
der speisesaal des altersheims hat große fenster. ich kann viel
sehen, aber nichts passiert. die alten sitzen und sitzen. in meinem
zimmer passiert auch nichts. ich sitze an meinem schreibtisch. ich esse
eine belgische praline. ich ziehe die vorhänge zu. ich fühle
mich beobachtet von den alten damen und herren auf ihren logenplätzen.
ich werde beinahe rund um die uhr von den alten beobachtet. sie erwarten,
daß etwas passiert in meinem zimmer, ich bin schließlich
jünger als sie. ich könnte tanzen in meinem zimmer oder ein
tolles kleid anziehen oder sex haben auf meinem schreibtisch. allein
oder zu zweit. erstmal.
Es ist nur manchmal leicht, über sex zu sprechen. nämlich
dann, wenn es wirklich um sex geht. um nichts anderes. was kaum möglich
erscheint. unmöglich.
ich denke an lydia lunch. im auto unterwegs mit ihrem liebhaber. unterwegs
zu den stätten vergangener verbrechen. sie hasst ihren liebhaber.
er fickt sie. sie beschreibt die stadt. new york. hauseingänge,
treppenaufgänge, hausflure, zimmer in wohnungen, zimmer in hotels,
toiletten. sie schreibt über körper. über männer,
über ihren vater. in ihren büchern gibt es nur sex.
deshalb kann sie über alles sprechen.
Sprache ist das, was auf andere sprache angewiesen ist. sie ist zwangsläufig
reaktiv. ein isoliert stehendes wort hat keine bedeutung.
die sprache, die ich benutze, ist nicht das, was ich will und mache,
sie ist das, was mir vorgegeben ist.
Johnny sagt: "du redest immer über sex. wirst du deine beine
für mich spreizen, so wie du deine beine ständig für
jeden beliebigen kerl spreizt, den du nicht kennst?"
janey erwidert: "immer wenn ein schwanz in mich eindringt jede
nacht drei nächte hintereinander frage ich mich ungeachtet dessen
wem der schwanz gehört soll ich mein ich von dieser person abhänig
machen oder soll ich eine geschlossene einheit bleiben. ich sage: ich
fange an dich zu lieben ich will dich nicht wiedersehen."
janey erwidert: "ich ficke nicht mehr, denn sex ist ein gefängnis.
er ist zu einem stützpfeiler des postkapitalistischen systems geworden,
ebenso wie die kunst. "
Meine schwester hat für kunst überhapt nichts übrig.
ihre kinder aber staunen über alles, das sie sehen im museum. vor
dem velázquez bleiben sie stehen und wollen nicht mehr weggehen.
Die suffragette mary richardson stach und schnitt im märz 1914
mit einem hackbeil auf das bild der "rokeby venus" des velásquez
in der londoner national gallery ein.
ist es /
es ist /
möglich, mit dem glaubenssystem zu brechen, dessen teil man zugleich
ist.
Ich nehme einen schluck gin direkt aus der flasche.
Was kann dies für eine sprache sein, die sich verweigert?
Niemand ruft an. nichts passiert. das telefon klingelt nicht.
es steht schlecht um das geschäft. es ruft buchstäblich niemand
an. und das seit tagen. das ist schlecht für mich.
nicht, weil es bedeutet, daß ich seit tagen mit niemandem mehr
gesprochen habe. daß mein gegenüber fehlt- das macht mir
ehrlich gesagt nicht die bohne was aus. ich bin kein menschenfreund.
die kontexte, die ich kenne, widern mich an. das ist nicht verwunderlich,
ich sitze mit meinem telefon schließlich mittendrin.
das geschäft ist schmutzig.
Arbeiten muß ich wie ein irrer, daß ich leben darf. der
zwang ist der unmenschlichste. in vielen jahren kann ich den vielleicht
mal erklären. vielleicht breche ich vorher unter ihm erdrückt
und tot zusammen. dann juckt mich nichts mehr.
Es ist nichts los. das telefon klingelt nicht. das ist schlecht für
mich, weil es nicht nur bedeutet, daß das geschäft schlecht
läuft. es bedeutet auch, daß ich mich einschränken muss.
weniger essen- sozudagen eine diät machen. spräche ich französisch,
würde das bedeuten, mich ab sofort in eine diktatur zu begeben,
in einer diktatur zu leben, denn ich befände mich (etre) au regime.
diät gleicht einer diktatur an den körper- eine ziemlich präzise
formulierung.
die bedeutet, in frankreich leben 95% prozent aller, die sich als frauen
definieren, gleichzeitig in einer demokratie und in einer diktatur.
jedenfalls kein taxifahren mehr, auch das briefpapier ist alle. an tabak
und alkohol kann ich nicht sparen, obwohl beides teuer ist. ein luxus.
andere bestäuben den körper mit parfum. ich bekomme davon
kopfschmerzen, die mich fast verrückt machen. nicht nur davon.
kein kaffee mehr da, es regnet, der busfahrer ist ein pedant, der imbiß
baut um, blut aus dem bauch, das herz sticht, der schnürsenkel
reißt. die katze sitzt auf den hinterbeinen und streckt den kopf
trotzig nach vorne, die ohren sind angelegt. keinen meter weit gehen.
ich werfe einen schuh nach der katze. die katze klemmt sich unter das
alte hellbraune kunstledersofa.
ja, es läuft schlecht. niemand ruft an.
soll ich jemanden umbringen, um diesen zustand zu beeenden?
Der maler vollführt den strich über die lippen und legt den
glanz auf das auge, und steht einen augenblick verzückt vor dem
werke seiner kunst. im nächsten augenblick aber, ohne den blick
vom bilde zu wenden, beginnt er zu zittern, wird bleich und ringt nach
atem. dann schreit er mit lauter stimme: "das ist ja das leben
selbst!" und er wendet sich zu seiner geliebten: sie ist tot!
ich nehme einen schluck gin direkt aus der flasche.
der club war der einzige, der den bewohnern des künstler undergrounds
etwas bot. er war in zwei areale unterteilt, der vordere raum war die
domäne der maler und künstler, während das hinterzimmer
die provinz der halbwelt- elite war, und der einlaß musste sich
verdient werden.
"ja, hallo, hallo, sie müssen helfen, meine tochter kam gestern
nicht nach hause."
die weiße rüschensocke ist über die ferse nach vorne
in den schuh gerutscht. unter dem fußballen bildet sie einen schmerzhaften
wulst aus feuchtem stoff. ich kann die socke nicht hochziehen, ich müsste
den schuh ausziehen, alles liegt sowieso nur an diesen blöden schuhen.
wie konnte ich bloß auf die idee kommen, sie ausgerechnet heute
anzuziehen. verdammt spitze schwarze stiefeletten mit pfennigabsatz.
im winter bei regen.
später im club rinnt der kajal in schwarzen bächen meine wangen
herunter und das eiswasser in blutigen bächen aus den stiefelchen-
die socken ruiniert wie unterhosen vom menstruieren. jede verdammte
nacht.
ich nehme mein telefon aus der tasche.
ein zahnloser opa kommt angeschlichen, torkelnd, fragt mich höflich,
schüchtern, kläglich, ob ich rotwein möchte. ich sage,
nein, ich muss hier noch arbeiten.
sie sagt: ich trainiere jetzt diese rollen. neulich ist mir das gut
gelungen, ich war ganz professionell.
(kunst muß sich verkaufen, um etwas zu bedeuten; das verkäufliche
kunstwerk soll eine beschreibung sein, ein abbild, kein schrei.)
sie sagt: wir hatten kein geld, um essen zu kaufen, kein geld für
arbeitsmaterial- wir waren ziemlich auf den hund gekommen. dann lag
da im straßenlicht ein perfektes paar spitzer krokodilliederschuhe,
echt vom feinsten und teuer, einfach so. ich schaute die schuhe an und
fragte. klamotten oder kunst? er antwortete: beides.
er zog seine sandalen aus, zog die schuhe ohne socken an und steckte
zeitungspapier hinein, damit sie paßten. plötzlich war er
ein neuer mensch. er konnte kein essen kaufen, aber er hatte neue schuhe.
später kam er nach hause und fügte sie einer installation
bei. heute sind diese schuhe teil seines werks. alles war immer leben
oder kunst.
sie sagt: es war magisch, wenn etwas die grenze überschreiten und
beides sein konnte, .
eigentlich ist zuhören mein job, nicht reden, wie man denken könnte.
diskretion ist in meinem metier sehr wichtig. ich brauche, benötige,
verlange totale diskretion bei gleichzeitiger totaler indiskretion.
ich bestehe auf diesem paradox. absoulte verschwiegenheit bei gleichzeitiger
absoluter offenheit.
abgesehen davon baue ich darauf, daß die kunden indiskret sind-
früher oder später sind sie das nämlich alle. ich erfahre
sonst nichts. und wenn ich nichts erfahre, kann ich nicht arbeiten.
ich muss schließlich auf sie eingehen können. ich muß
eine gute zuhörerin sein. eigentlich ist zuhören mein job,
nicht reden, wie man denken könnte.
Ja, hallo, hallo. wenn was wehtut muß man schrein. oder wenigstens
so tun.
meine tochter kam gestern nicht nach hause; discotod, death of a discodancer,
blood on the dancefloor, blood on the murderscene, confessions on a
dancefloor.
candy sagt: ich hasse jetzt meinen körper
und alles was er braucht in dieser welt/
und alles was er verlangt in dieser welt
candy sagt: ich möchte alles wissen
über das andere so rücksichtsvoll sprechen
ich hock auf der abgewetzten treppe vor einem bescheuerten club.
nicht stoned genug. lippenstift und schlüssel in der tasche. wohne
immer noch bei den hippies. suche eine möglichkeit da rauszukommen.
nicht die leiseste ahnung, wie. ein taxi fährt mit abgeblendeten
scheinwerfern vor.
taxifahren kann ich mir nicht leisten. der kapitalismus ist eine realität.
die notwendigkeit einer karriere zwingt heute niemanden mehr, partei
zu ergreifen.
das taxi ruckelt über den bordstein und hält einen halben
meter vor meinen knien. der fahrer streckt den kopf raus: steig ein.
ich sage ihm, daß ich pleite bin. er meint, er sei nicht auf geld
aus. ich klettere auf den vordersitz und ziehe mit ziemlicher mühe
die blutigen schühchen aus. er fragt, ob was eich rleben möchte.
ich zucke die schultern. schon wieder die gesellschaft eines komischen
arschlochs. das hier hat eine schwäche für kunstattentäter.
soll ich dir mal sagen wer die zehn bekanntesten kunstattentäter
sind: 1.bohlmann, 2.pinoncelli, 3.solanas, 4.chapman, 5.richardson,
6.unknown h., 7.van Bladeren, 8. brener, 9.kelleher, 10.cai und xiianjun.
rembrandt, rubens, malewitsch, duchamp, duffy, dürer, picasso,
newman, hirst, emin, offili, ono, serrano. ich sage. quatsch nich.
mehl, farbe, messer, hammer, tinte, säure, axt, pisse, scheiße,
kotze.
Was kann dies für eine sprache sein, die sich verweigert?
ich hielt den gefalteten scheck an einer ecke zwischen meinen knien.
ich holte meine brieftasche heraus und legte ihn hinein.
wir kreuzen die amüsiermeile. weniger leuchtreklamen, mehr früchstückskneipen
und handyläden. sechsstöckige häuser und ne menge damen,
die auf ihren fensternbänken hängen, die arme auf kissen gestützt.
ein unscheinbares schaufenster und von nebenan der geruch von altem
fett. mir wird klar, daß das unser ziel ist. der taxifahrer sagt,
ich soll drinnen warten, er leistet mir gleich gesellschaft. ich sage
arschloch, kann drauf verzichten, steig aber trotzdem aus.
ich geh rein und kann überhaupt nichts erkennen. da brennt nichts,
aber verqualmt ist es trotzdem.
ne menge jungs da in knallengen, farbbespritzten jeans und lässigen
shirts und mädchen mit dünnen schals um den hals. getanzt
wird eher nicht oder vielleicht auf dem klo, nach der schlange davor
zu urteilen.
ich setze meine sonnenbrille auf.
ein zahnloser opa kommt angeschlichen, torkelnd, fragt mich höflich,
schüchtern, kläglich, ob ich rotwein möchte. ich sage,
nein, ich muss hier gleich auftreten.
Beim arbeiten verbrachte ich ziemlich viel zeit mit den anderen und
hörte mir ihre geschichten an. es war die zeit der drogen und die
mädchen dröhnten sich oft total zu und erzählten dann
die wahnsinigsten geschichten. diese geschichten waren für mich
etwas ganz unmittelbares, also schrieb ich sie alle in der ersten person
nieder, dazu ein paar meiner eigenen träume.
ich hab die kunst innerhalb von einem tag einfach so aufgegeben, nachdem
ich jahre reingesteckt habe.
ich gehe eine straße lang. die scheißfüße tun
weh. kann nicht rumhocken, vor dem fernseher, mit dem katze, dem mitbewohner,
der pizza, dem computer, der antifaltencreme, den neuen nike air und
langsam verwesen. gehe raus. die straße lang. immer geradeaus.
schritte klapperten hinter mir drein und ich ging weiter bis ich in
der mitte des wohnzimmers war. dann blieb ich stehen und drehte mich
um.
minuten später öffne ich die ladentür, ich brauche einen
drink, einen lieblingsdrink und später dann einen jungen zum ficken,
vielleicht. ich öffne die ladentür und denke: wird hier ein
film gedreht? denn da liegt eine tote und hat einen mikroständer
in den rücken gebohrt. das gesicht kann ich nicht erkennen. ich
gehe langsam durch den raum, an die bar, nehme ein glas aus dem regal
und mixe mir meinen lieblingsdrink: vier teile gin, ein teil lime juice,
eis, zitrone, mit apfelsaft aufgefüllt und schaue mich um. hier
wird kein film gedreht! alle tot! makler, touristen, bullen, alle tot!!
der papagei in seinem käfig überm tresen krächzt leise,
ich verstehe erst beim zweiten mal: paxi und fixi! paxi und fixi! langsam
stehe ich auf, gehe mit dem gin in der hand zur geöffneten tür.
morgenröte scheint herein, ich schaue lächelnd hoch zu den
dächern. ein specht, der gerade einen kuckuck fickt, winkt mir
freundlich zu. ich nehme mein glas und werfe es gegen die wand.
Seit 1999 klatsche ich frösche an die wand.
Und man hofft immer, daß es immer easier wird und besser, die
coolen aufträge und daraus dann mehr geld, aber alles ist in der
zukunft.
was mach ich hier eigentlich, habe ich irgendwie eine totale scheibe,
warum lebe ich immer in die zukunft und warum vereinsame ich immer mehr
an so einem schreibtisch mit telefon und wo stehe ich eigentlich als
arbeitende.
es entspricht vollkommen der wahrheit, daß ich an diesem morgen
nichts tat, als auf ein leeres blatt papier zu starren, daß in
meiner schreibmaschine steckte.
ich hielt den gefalteten scheck an einer ecke zwischen meinen knien.
ich holte meine brieftasche heraus und legte ihn hinein.
ich kam da nicht mehr so einfach heraus. ich muss sagen, die sache interessierte
mich schon. auftrag hin-oder her.
Im 18. jh begannen in holland künstler nicht länger auf aufträge
zu warten. sie malten, was ihnen gefiel und wie es ihnen gefiel. anstelle
des auftraggebers trat der käufer, der bei einem maler unter vorhandenen
bildern aussuchen konnte.
um sich nicht in abhängigkeit von händlern oder dem unberechenbaren
geschmack der vielen kunstfreudigen kleinbürger zu begeben, übten
viele, auch die bekanntesten maler jener zeit, einen zweiten beruf aus.
im kalten-kriegs-szenario des 20.jhds. wurde das genie das neue künstlerbild
als der erfolgreiche repräsentant für die funktionierende
freiheitlich-demokratische (und kapitalistische) grundordnung. gesellschaftlich
relevante kunst wurde seit den 60er jahren nun zur gesellschafts-kritischen,
die sich ihre eigenen informellen und selbstorganisierten strukturen
schaffen muß.
solange es gegen das neoliberale system keine klar positionierte opposition
gibt, können die meisten formen kollektiver und kollaborativer
praxis als "selbst-unternehmer" gelesen werden. dadurch bauen
sich gruppen von individuen auf, die die von unternehmern kontrollierten
märkte bedienen, die herrschende ideologie befriedigen und befördern.
am 4. januar ging der 77-jährige Pierre Pinoncelli in die temporäre
dada-ausstellung des centre pompidou. ziel seines besuchs war das auf
einem sockel präsentierte, auf dem rücken liegende und von
duchamp signierte urinoir. pinoncelli versteht sich als konzeptkünstler
wie duchamp. an dessen pissoir wollte pinoncelli eine kunstperformance
ausführen. er ging mit einem hammer zum kunstwerk und beschädigte
es leicht . pinoncelli wurde allerdings deswegen nicht als Künstler
gefeiert, sondern von der polizei abgeführt und zu einer geldstrafe
von 14 352 euro verurteilt.
schon im café hatte ich auf der toilette einige veränderungen
an meiner kleidung vorgenommen. die spießige weste hatte ich ausgezogen
und auf dem abtritt liegen lassen. die biederen hosenträger tauschte
ich gegen einen gürtel aus. die krawatte steckte ich vorne ins
hemd, den mantelkragen schlug ich hoch, schob den hut seitlich zurück
und vergrub, bei offen wehendem mantel die hände tief in den hosentaschen.
die wenigsten können sich unter meinem job etwas vorstellen. genauer:
sie stellen sich alles mögliche vor, fragen aber nie nach. es ist
ihnen peinlich, sie tun cool, sie sind voller vorurteile und/ oder haben
schon abgeurteilt.
sie kommen erst als kunden zu mir.
wenn sie zu mir kommen sind sie kunden.
vorher distanzieren sie sich die ganze zeit.
Sollte das telefon klingeln werde ich fragen: "hallo, was kann
ich für sie tun?"
ich sah auf die dinge auf dem schreibtisch. alles das übliche,
und alles aus kupfer. eine lampe, ein federhalter und eine bleistiftschale
aus kupfer, ein aschenbecher aus kupfer und glas, auf dessen rand ein
elefant aus kupfer saß, ein brieföffner aus kupfer, eine
thermosflasche mit tee aus kupfer auf einem tablett aus kupfer, eine
schreibunterlage mit ecken aus kupfer. es gab einen strauß beinahe
kupferfarbener wicken in einer vase aus kupfer.
Verdammt, dieser beschissene raum geht mir heute auf den sack. nicht
heute, seit jahren schon. aber es gibt tage, da ist es besonders schlimm.
ich nehme einen schluck aus der flasche.
ich kann mir kein besseres büro leisten.
die wände sind orange gestrichen, die farbe der 90er. die fensterrahmen
schmutzig hellgrün, die farbe der fünfziger jahre. tote hellgrüne
algen. die fenster blind und voller fliegenscheiße. die fensterscheiben
zu einem drittel von herabhängenden rollläden aus schwarzem
allu verdeckt. die lamellen hängen einzeln und überlang seitlich
der fenster wie abgebrochene künstliche wimpern herunter.
der schreibtisch ist aus grauem metall. arbeitsamtgrau, sozialamtgrau,
beamtengrau.
ich öffne die oberste schublade- meine lieblingsschublade, denn
im gegensatz zu den anderen sechs schubladen- links drei, rechts drei,
dazwischen ein papierkorb aus grauem plastik- ist sie mit kupfer ausgeschlagen.
ich nehme ein schon etwas angegilbtes blatt papier heraus.
bei dem objekt handelt es sich um 150qm.
sie betreten das objekt und gelangen in die lobby, ein karger raum,
der von einem großen ladenfenster und im vorderen bereich durch
blau-weiße kacheln an den wänden dominiert wird.
der hintere bereich der lobby ist die bühne.
die lobby ist bestuhlt. die stühle sind auf die bühne ausgerichtet.
sie durchqueren die lobbby, bis sie den raum durch eine tür rechts
von der bühne verlassen und in einen korridor gelangen.
sie befinden sich nun direkt vor den zwei sanitäreinrichtungen.
sie wenden sich nach links und gehen nun direkt auf das office am ende
des korridors zu. linker hand passieren sie dabei die bar und rechter
hand den laden, chor genannt. bar und office sind jeweils nur durch
einen hochklappbaren tresen vom korridor getrennt. sie blicken in das
office hinein. links befindet sich eine geschlossene tür, auf der
"privat" zu lesen ist.
gehen sie nun den korridor wieder zurück bis an sein ende. betreten
sie den raum hinter der trennwand. dort befindet sich ein empfangstresen,
der aus vier containern/monitoren besteht. daneben eine topfpflanze
und ein wasserspender. der raum besitzt ein großes ladenfenster
und einen fensterartige öffnung zur lobby. überprüfen
sie, ob die monitore angeschaltet sind. verlassen sie dann den raum
und gehen sie gleich links die treppe hinunter. am ende der treppe links
befindet sich der club. betreten sie den club, durchqueren sie ihn und
klettern sie durch einen schacht wieder in das parterre. sie befinden
sich nun wieder am eingang der lobby.
die rundgänge sind im abstand von einer stunde durchzuführen.
ich greife zu meinem füller, der mein einziges erbstück ist,
ja, um genauer zu sein, der mein ganzes erbe darstellt und obendrein
sogar tatsächlich von einem gewissem wert ist, denn es ist ein
parker von 1940. ich schreibe bedächtig "raumbeschreibung"
auf das hellbraune papier.
Ein breiter, niedriger diwan mit empiregrünem samtbezug. ein haufen
kleider darauf, unter anderem lila seidenwäsche. ein zerknülltes
kissen liegt nur noch halb auf dem sofa. ein hellrosa samtkissen. es
hängt vom sofa herunter. es ist sozusagen im begriff, vom sofa
zu rutschen. demnächst, aber noch nicht jetzt.
das kissen ist ein sehr durchschnittliches hellrosa samtkissen, dennoch
erregt es meine aufmerksamkeit- nicht, weil es vom sofa zu fallen droht,
sondern weil unter dem kissen ein arm hervorschaut. der arm sieht sehr
weiß aus. ein schlanker arm. eine hand. eine sehr weiße
hand. eine sehr schlanke, sehr weiße hand. eine damenhand. der
arm schaut irgendwie verdreht unter dem kissen hervor.
eine damenhand mit einem ring an einem finger. ein ring mit einem grün
leuchtenden stein. einem großem stein.
auf einem sockel eine große, geschnitzte lampe, zwei weitere stehlampen
mit jadegrünen schirmen und langen quasten. ein schwarzer schreibtisch
mit geschnitzten ungeheuern an den ecken und dahinter ein gelbes seidenkissen
auf einem schwarzpoliertem stuhl mit geschnitzter arm- und rückenlehne.
über dem schreibtisch ein bild. auf dem bild sieht man zwillingsschwestern
auf einem sofa sitzen. an der wand über dem sofa hängt ein
portrait von elvis. die schwestern sind im rock'n roll stil der 50er
gekleidet. sie sagen "wir sind die töchter von elvis".
elvis schlief mit ihrer mutter, als er auf durchreise war nach michigan
oder tenessee, zurück in seine heimat jedenfalls. sie sind große
elvis fans, denn sie haben rock im blut.
auf dem schreibtisch ein weißer laptop. eine lampe mit grünem
schirm. eine nähmaschine, ein telefon.
Das telefon klingelt. endlich.
"hallo? hallo?"
"Ich blicke in ein schlafzimmer mit doppelbett, sauber gemacht
und mit einer goldgemusterten rosa damastdecke bezogen.
jemand liegt auf dem bett. eine frau. sie rührt sich nicht.
hinter dem bett steht eine tür offen, in ein badezimmer, aber es
ist kein laut daraus zu hören. ich blicke auf das mädchen
nieder, das auf dem bett liegt.
ihre beine sind ein wenig verdreht, und nackte haut zeigt sich über
dem einen der durchsichtigen strümpfe, unter dem kurzen rock. am
boden liegt ein grüner hut. ihre schuhe haben hohe absätze.
ein duft von mitternachtsnarzzisse hängt im raum.
ihre augen stehen halb offen und haben einen teilnahmslosen ausdruck,
ihre hände liegen schlaff an den seiten."
"danke".
"Sobald sie die leiseste vermutung haben, wie wir dieses szenario
zu deuten haben, zögern sie nicht, sich mit uns in verbindung zu
setzen."
Nicht wissen, wohin meine sprache führt. mir meines themas nicht
sicher sein. mein handwerkszeug nicht kennen.
Ja: wovon bitte rede ich eigentlich? kann mir das einer sagen. suche
ich nach etwas. was. einen stiehl, einen mich, einen gott, einen besen,
eine kunst. oder nicht doch diese endgültigen frauentangaslips.
ich glaube ich suche solche frauenslips. am frauenwühltisch bin
ich neben zwei frauen gestanden und habe mich nicht zum wühlen
getraut. rot hat die haut unter meinen haaren geglüht. mehr sage
ich dazu nicht, weil das ist ja erst die vorbereitung auf die ganzen
geilen sauereien, an die ich mich später hintrauen werde.
Der maler vollführt den strich über die lippen und legt den
glanz auf das auge, und steht einen augenblick verzückt vor dem
werke seiner kunst. im nächsten augenblick aber, ohne den blick
vom bilde zu wenden, beginnt er zu zittern, wird bleich und ringt nach
atem. dann schreit er mit lauter stimme: "das ist ja das leben
selbst!" und er wendet sich zu seiner geliebten: sie ist tot!
Ich zähle bis dreißig und stehe auf.
"na, sie stehen also doch auf", sagt sie und rümpft ihre
nase über das verblichene rote sofa, die zwei zusammengetragenen
roten harten sessel, die netzgardinen, die dringend in die reinigung
müssen, und den lesetisch im kinderzimmerformat mit den altehrwürdigen
zeitschriften darauf, die dem ganzen einen professionellen anstrich
geben sollen. "ich dachte schon, sie würden im bett arbeiten
wie bukowski." "wer's'n das?" "ein autor, ein kenner
des verfalls. sie werden ihn kaum kennen." "igitt", sagte
ich, "was sie nicht sagen. ich muss noch mal los."
die fassade der ladenwohnung, der straße zugewandt, ist weiß
und kahl mit einem großen schaufenster im erdgeschoß. ein
name leuchtet darin in grünem neonlicht. ich öffne die tür.
ein empfangsraum wie ein reisebüro. viel licht und billige farbe,
viel trockene luft, viele kostüme, viel lärm und eine handlung
mit der originalität und dem drive eines gespaltenen fingernagels.
im harten licht der leuchtstoffröhren wirkt das eine riesige bild
an der gekachelten wand noch geschmackloser. niemand kommt, niemand
will mir was verkaufen. ich gehe langsam durch den raum, an die bar.
ich nehme ein glas aus dem regal und mixe mir meinen lieblingsdrink:
vier teile gin, ein teil lime juice, eis, zitrone, mit apfelsaft aufgefüllt
und schaue mich um.
ich höre ich ein leises schnarrendes geräusch. wie eine modelleisenbahn
oder ein käfer, der auf dem rücken liegt oder wie eine fliege,
die am fliegenfänger verreckt, stundenlang geht das manchmal. es
summt und schnarrt. ich gehe auf blauem teppich, auf dem meine schritte
quietschen, als hätt ich vergessen meine beine zu ölen, quer
durch den raum und folge dem geräusch um die ecke. im flur wird
das geräusch immer lauter. und dann seh ich sie. eine puppe liegt
komisch verdreht auf der seite. braunes kostüm und altmodische
bluse. ich gehe noch näher ran, knie mich hin, brauche nur noch
die hand ausstrecken, um sie zu berühren. sehe: die puppe ist eine
verdammt tote puppe und ich meine nicht diese sekretärinnen, die
sich in der mittagspause ihren fettarmen joghurt bei budni kaufen und
am feierabend schon wieder auf dem fließband stehen und joggen-nein
diese puppe ist wirklich eine puppe. ich bücke mich. da zuckt sie
kurz mit dem arsch. ich nehme einen schluck aus meinem glas. stehe dabei
auf. trete leicht gegen den oberschenkel der puppe, die dreht sich wie
von selbst auf den rücken. ich sehe ein namenschild an ihrer bluse.
'candy`steht drauf. na wunderbar. ich nehme mein glas und werfe es gegen
die wand.
es entspricht vollkommen der wahrheit, daß ich an diesem morgen
nichts tat, als auf ein leeres blatt papier zu starren, daß in
meiner schreibmaschine steckte. ebenso wahr ist, daß ich an schlechthin
keinem morgen besonders viel zu tun habe. ich bin ja schließlich
nicht bei der polizei.
Das telefon.
ein jahr später:
um 2.30 morgens erreichte der ruf minchesta. sie wurde dadurch keineswegs,
wie man vermuten könnte, aus tiefstem schlaf gerissen, dennoch
nahm sie erst nach dem siebten klingeln fluchend den hörer ab.
'hallo, was kann ich für Sie tun?'.